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Fahrtbericht September 2014

By September 20, 2014Oktober 3rd, 2020Fahrtberichte

Liebe Freunde der Moldovahilfe,

was ist denn da passiert? Hat die Post gestreikt? Gibt’s keine guten Nachrichten mehr aus Moldova? Oder haben die Moldovahilfeleute einfach vergessen, sich bei ihren Spendern zu melden?

Erst vor Kurzem wurde mir bewusst, dass wir in diesem Jahr noch keinen einzigen Rundbrief geschrieben haben. Mein erster Gedanke war: Was haben wir für großartige Unterstützer, die so treu weiter spenden, obwohl sie nichts von uns hören! Und so hat unser ungeplantes kommunikatives „Abtauchen“ ein Vertrauen uns gegenüber offenbart, für das ich mich herzlich bei Ihnen bedanken möchte.

Wiederholen wollen wir so eine lange Funkstille allerdings nicht – versprochen. In diesem Rundbrief möchten wir die ausgebliebenen Informationen nun aber erst einmal nachliefern.

Unsere neue Mitarbeiterin Mariana

Seit vielen Jahren leben wir mit dem Problem, dass junge, gut ausgebildete, motivierte Leute oft das Dorf verlassen und ihr Glück – wenn nicht gleich im Ausland – in einer größeren Stadt suchen. Vor zwei Jahren haben wir in Costangalia eine junge Frau kennengelernt, die wieder den entgegengesetzten Weg eingeschlagen hat: Sie ist mit ihrer Familie aus der Stadt Cahul nach Costangalia zurückgezogen.

Mariana Sinigur ist ausgebildete Pädagogin und hat zunächst behinderte Kinder in einem Inklusionsprojekt der Schule betreut. Dort haben wir sie kennengelernt und waren gleich von ihrer offenen Art und ihren vielen Ideen beeindruckt. Unser Gedanke: So jemanden bräuchten wir auch in unserem Sozialzentrum…!

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Und – es hat geklappt! Die Projektfinanzierung in der Schule ist ausgelaufen, und seit diesem Sommer arbeitet Mariana bei uns. Ihre Aufgaben sind vielfältig: Neben der praktischen Arbeit mit den Kindern hält sie auch den Kontakt zur Schule und leitet überhaupt den gesamten pädagogischen Bereich. Wir freuen uns sehr, dass die Arbeit in unserem Zentrum dadurch deutlich professioneller geworden ist.

Sascha Goretzko

Was sich ändert und was bleibt – Ein Bericht über die Fahrt in die Republik Moldau im September 2014

Nach sechs Jahren Pause ist es so weit. Ich fahre wieder nach Moldova und bin neugierig, was sich alles verändert hat. Moldova hat das Assoziierungsabkommen mit der EU unterzeichnet. Hat dies etwas bewirkt, oder ist mehr oder weniger alles beim Alten geblieben? Ach ja, ich fahre nicht nach Moldova – ich fliege. Auch das ein Unterschied zu meinen früheren Fahrten. Nach einer Stunde bin ich in München und nach weiteren drei Stunden landet das kleine Flugzeug in Chisinau. Am Flughafen ist wenig los. Ich stehe erstmal in der falschen Schlange für die Passkontrolle. Kein Problem, ein Lächeln, ein Stempel, und ich bin drin. Das ist das erste, was sich geändert hat. Eigentlich alle Vertreter dieses Staates sind freundlich und nicht mehr darauf versessen ein paar Euro zu bekommen, bevor sie einen wieder gehen lassen.

Ich hole den Mietwagen und fahre in die Innenstadt, wo ich mit Ana Palcu verabredet bin, die auf deutlich beschwerlicherem Weg mit dem Bus von Sibiu (Rumänien) nach Chisinau gekommen ist.

Wir haben herrliche 27C und einen wunderbaren Sommerhimmel. Ich setzte mich auf eine Bank am Platz vor der orthodoxen Kirche. Nach ein paar Minuten taucht Ana auf. Wir gehen noch was essen und machen uns auf den Weg nach Chioselia zu Familie Batir. Auch für diesen Weg habe ich schon deutlich länger gebraucht. Keine Straßenkontrollen, einige Straßen wurden repariert bzw. überhaupt asphaltiert. Ab Baimaclia ist dann doch wieder alles beim Alten. Ich steuere den viel zu flachen Mietwagen über die Schotterpiste nach Chioselia. Auf den ersten Blick hat sich hier nicht viel verändert, ein paar neue Schilder weisen den Weg zu den nächsten Orten, das war´s schon. Wir sind neugierig, was der zweite Blick bringt.

Aber zunächst kommen wir bei Familie Batir an. Valeriu baut an einer Werkstatt, die er für seine Bienenzucht braucht. Für die herzliche Begrüßung bleibt kaum Zeit, denn immer wieder kommen Stipendiaten, die ihr Geld für den nächsten Monat ausgezahlt bekommen. Auch die ersten neuen Stipendiaten tauchen auf. Wir suchen die mitgebrachten Verträge raus und sprechen über die wichtigsten Dinge. Schüchtern sitzen sie auf dem Sofa und antworten höflich. „Worte sind teuer in Moldova“, sagt Valeriu.

Schon am Abend werden die ersten Termine gemacht und Absprachen getroffen. Wir sollen am Morgen zur Schulanfangsfeier in die Schule, danach geht es ins Sozialzentrum. Wir bestätigen noch die Einstellung von Mariana Sinigur als pädagogische Leiterin des Sozialzentrums.

So stehen wir also am nächsten Morgen mit Folienblumensträußen auf der Betonterrasse der Schule. Der Direktor, der orthodoxe Priester, die Lehrerin der ersten Klasse und ich halten kurze Redebeiträge. Der Priester besprengt noch alle mit Weihwasser. Die Schüler gehen in Ihre Räume. Der Direktor und ein Lehrer tragen einen Schüler im Rollstuhl in die erste Etage. Hier wird Inklusion gelebt – mit Arbeitssicherheit sieht es für den Direktor und seinen Kollegen nicht so gut aus. Wir gehen mit dem Direktor, den ich noch aus seiner Zeit als Bürgermeister kenne, durch die Schule. Ach ja, der Turnhallenboden, den wir haben reparieren lassen, ist noch in gutem Zustand. Wir besichtigen auch den Essensbereich, denn einige arme Schüler bekommen ihr Schulessen über uns finanziert. Diesmal werden wir der Schule die Projektplanung finanzieren, mit der sie beim Landkreis ein neues Dach beantragen können.

Nun geht es weiter zum Sozialzentrum. Für mich etwas Neues, denn bei meinem letzten Aufenthalt war unser Haus noch ein Kindergarten. Die Küche ist schon in vollem Gange; das Essen, das an ärmere alte Menschen zu Fuß ausgeliefert wird, ist schon abgefüllt. Andere kommen zu Fuß, um ihr Essen zu holen, sie sitzen beisammen und nutzen die Zeit für ein Schwätzchen.

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Wir verabreden eine Teamsitzung, in der Mariana Sinigur mit dem Team einige Neuerungen anregen wird. Wir sind froh, eine junge, gut ausgebildete Sozialarbeiterin gefunden zu haben, die diese Arbeit übernommen hat. In der Teamsitzung am nächsten Morgen wird viel diskutiert. Was ist für die Kinder, die zu uns kommen, eigentlich wirklich wichtig? Brauchen wir einen besseren Kontakt zu den Lehrern in der Schule? Wollen wir einen Ausflug zu einem anderen Sozialzentrum machen? Auch wenn nicht immer alle gleich einig werden, kommt ein Gespräch in Gang, das für die weitere Entwicklung des Sozialzentrums wichtig ist.

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Im Ort und darüber hinaus wird die Arbeit des Zentrums sehr positiv wahrgenommen. Vom Amtsleiter des Sozialamts des Landkreises erfahren wir, dass wir die einzige Armenküche unterhalten, in der für die alten Menschen tatsächlich gekocht wird. In allen anderen Orten werden nur noch Essenspakete mit Mehl, Öl und Zucker gepackt. Die Schule zeigt sich erfreut über die Hausaufgabenhilfe und die Beschäftigungsangebote (Werkstatt, Sport, Computerkurse). Der orthodoxe Priester freut sich über unser Engagement für die Bildung im Ort. Er und seine Frau, die im Zentrum kleine Theaterprojekte anbietet, arbeiten gerne mit dem Zentrum zusammen. Der Landkreis möchte, dass wir, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen sind, freier Träger der Sozialhilfe werden und so auch staatliche Finanzierungen beantragen können.

An dieser Stelle eine Bemerkung zur Entwicklung des Landes. Auch wenn das noch nicht bei allen ankommt, hat der moldauische Staat in vielen Bereichen eine positive Rolle eingenommen. Die neuen Gesetze werden nicht nur verabschiedet, sie ändern tatsächlich die Realität. Die alten großen Behinderteneinrichtungen und Heime werden aufgelöst. Die ehemaligen Bewohner werden jetzt in ihren Herkunftskommunen in Familien oder in familienähnlichen Kleingruppen untergebracht. In diesem Zusammenhang konnten wir in Baimaclia helfen, ein altes Haus mit Heizung und Warmwasser auszustatten, damit dort eine Behindertenwohngruppe einziehen kann. Durch die Kinder, die zurück in Ihre Kommune kommen, sind die Schülerzahlen in der Schule gestiegen. Wir sind gespannt, wie sich Lage entwickelt.

Eine kleine Geschichte zur politischen Situation: Valeriu nimmt uns mit zum Weinberg eines Dorfbewohners. Er darf sich in diesem Jahr Tafeltrauben nehmen. Russland hat wegen des Abkommens mit der EU ein Handelsembargo verhängt. Neue Handelspartner in der EU gibt es noch nicht, außerdem sind die Trauben, die je zwei Kerne enthalten, in der EU fast unverkäuflich. Kernlose Trauben sind gefragt. So werden in diesem Jahr kaum Trauben geerntet. Ich stelle fest: So gute Trauben habe ich lange nicht mehr gegessen. Eine Lösung für Valerius Nachbarn gibt es noch nicht.

So vergehen die weiteren Tage mit vielen Gesprächen und weiteren Projektverträgen: Der staatliche Kindergarten in Costangalia hat einen Anbau für eine neue Küche begonnen. Wir übernehmen die Kosten für die Fliesen. In Chioselia finanzieren wir die neue Wasserversorgung für die medizinische Ambulanz.

Wir begehen unser Grundstück und besprechen mit Valeriu weitere Bauaufgaben. Stromversorgung, ein Zaun, ein Unterstand für Brennholz und eine Werkstatt, in der Pavel, unser Hausmeister, mit den Jugendlichen Werkarbeiten machen kann, stehen auf dem Plan.

Es bleibt uns etwas Zeit für Besuche. In den Gesprächen stellen wir fest, für wie viele Menschen sich nichts geändert hat. Oft tut sich nur dort etwas, wo ein Familienmitglied im Ausland, oft in Russland, Arbeit gefunden hat. Ohne die, die Geld nach Hause schicken, sähe es im Ort noch trostloser aus. Noch immer wohnen Menschen mit ihren Kindern in verfallenen Häusern und leben von dem, was der kleine Garten hergibt. Gleichzeitig sind Neid und Missgunst verbreitet. Auch hier wollen wir mit dem Sozialzentrum ein Vorbild sein und zeigen, dass es sich lohnt zu teilen.

Nach einem dieser langen Tage gehen Ana und ich zu Valeriu nach Hause, die Sonne geht gerade unter, und im Tal gehen kleine Gruppen von Gänsen auf den Ort zu. Jede dieser kleinen Gruppen findet den Weg in ein Haus. Ein schönes Bild, das wir schon so oft gesehen haben. Manche Dinge ändern sich nie.

Andreas Bodemann

Festmahl oder Armenküche?

Seit einigen Jahren betreiben wir in Costangalia eine Armenküche. Die Armut im Dorf ist allgemein spürbar. Aber was bedeutet Armut konkret?

Ich möchte nach einigen Jahren mal wieder eine Person besuchen, die nicht in unser Sozialzentrum kommen kann, sondern das Essen nach Hause geliefert bekommt. Tamara, die Sozialarbeiterin von Costangalia, organisiert daraufhin einen Besuch bei Ana, einer älteren Frau.

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Ich bin gespannt. Wir betreten den Hof. Alles ist ordentlich, wirkt aber verlassen. Das muss daran liegen, dass die Hühner fehlen, die sonst überall herumpicken. Wir betreten das Haus. Stimmen – nur der Fernseher. Tamara führt mich in das Schlafzimmer. Auf dem Bett sitzt Ana: ein echte Dame! Hellwach, Perlenkette, regelrecht schick: Wie oft wird sie den Lippenstift wohl sonst noch benutzen? – Wir werden also mit einem strahlenden Lächeln erwartet.

Schnell sind wir mitten in ihrer Lebensgeschichte: Sie hat mit 25 Jahren geheiratet, und so wie sie davon erzählt, muss es eine sehr glückliche Ehe gewesen sein. Er war Tischler, sie Lehrerin, beide Eltern von vier Kindern. Eine Familie, die alles hatte, was sie brauchte, wenn man vielleicht auch nicht von Reichtum sprechen konnte.

Jetzt ist Ana 74 Jahre alt. Die Kinder sind längst erwachsen und weit weg gezogen. Der nächste lebt in der Bezirksstadt Cantemir und hat selbst vier Kinder. Da kann er seiner Mutter finanziell nicht helfen. Die bekommt umgerechnet ca. 60 Euro Rente im Monat – was soll man damit anfangen?

Vor einem Jahr ist Ana gestürzt, sie sagt, ihre Hüfte sei in zehn Teile zerbrochen. Kurz danach ist ihr Mann gestorben. Jetzt ist sie allein, der Alltag ist eine tägliche Herausforderung. Immerhin kommt sie inzwischen mit ihrer Gehhilfe bis auf die Terrasse. Dort endet ihr Reich.

Was unserer Sozialküche für Ana bedeutet, kann man schwer beschreiben. Sie dankt uns aufrichtig dafür und wiederholt immer wieder, wie abwechslungsreich und lecker es ist. Es scheint regelrecht eine Ehre für sie zu sein, dass sie jeden Tag so fürstlich bekocht wird. Und für mich war es bisher immer nur ein „einfaches“ Essen…!

Sascha Goretzko