Gewitter und kommunistische Pläne
Langsam verfinstert sich der Himmel. Dicke, schwarze Wolken schieben sich in Richtung Westen über die Hügel. Das Donnergrollen schwillt zu einem unheimlichen Getöse an, Blitze erhellen die Szenerie im Sekundentakt, und schließlich prasselt dicker Regen auf das Dach von Valerius Haus. Valeriu strahlt, seine Frau auch: „Gott sei Dank!“
Es ist Montag, der 6. August. Eben haben wir die von uns sanierte Krankenstation in Costangalia besucht. Wir haben zugesagt, bei der nächsten Fahrt einen neuen gynäkologischen Untersuchungsstuhl zu kaufen. Jetzt sitzen wir bei Valeriu zu Hause, als das Gewitter aufzieht. Warum die Freude darüber? Es ist der erste Regen seit fast vier Monaten!
Krankenstation Costangalia: der alte gyäkologische Untersuchungsstuhl
Valerius Nachbar muss weit laufen, um etwas Grünes für sein Pferd zu finden
Für die Bauern ist das Jahr bisher katastrophal verlaufen, und hier auf den Dörfern sind fast alle Kleinbauern. Mais und Sonnenblumen sind verkümmert, die Kartoffeln werden allenfalls hühnereigroß, und die Wassermelonen haben im vergangenen Jahr das Drei- bis Vierfache gewogen. Insgesamt sind das enorme Verluste. Allein die Ausfälle bei der Getreideernte in Moldova werden auf 300 Mio. Euro geschätzt. Und: Die Preise für Lebensmittel schnellen in die Höhe. Im Staatsfernsehen hat der kommunistische Präsident Voronin verkündet, dass die Brotpreise trotz der Trockenheit nicht steigen werden. Wenige Tage später sind die Brotpreise deutlich gestiegen. Wieder einmal hat sich die Realität nicht an kommunistische Pläne gehalten.
Natürlich ist trotz des Regens nicht mehr alles zu retten. Aber wenigstens hat der Wein noch gute Chancen, und es wird Futterpflanzen für das Vieh geben.
Auf und ab im Kindergarten Costangalia
Zurück zu unseren Projekten: Mit Valeriu besuchen wir unseren Kindergarten in Costangalia. Wie immer gibt es Positives und Negatives. Schön ist, dass wir endlich den Startschuss für den Bau von Spielgeräten geben können. Die Kirchengemeinde Dahlem hat das mit Erlösen aus dem letztjährigen Weihnachtsbasars ermöglicht, und eigentlich sollte es dann zu unserer Märzfahrt losgehen. Aber diese Fahrt ist ausgefallen, und so mussten die Kinder leider noch etwas warten. Jetzt haben wir beschlossen, zunächst Schaukeln und eine Wippe bauen zu lassen. Die Kinder freuen sich schon!
Sehr schade ist es, dass Larisa unseren Kindergarten verlassen hat. Sie war nur ein Jahr als Erzieherin in der Vorschulgruppe bei uns. Ihr Mann ist schon vor einiger Zeit nach Moskau ausgewandert, und nun ist sie ihm gefolgt. Für uns ist das ein großer Verlust, sie war bei Kindern, Eltern und den anderen Erziehern beliebt und hat auf einem qualitativ sehr hohen Niveau gearbeitet. Aber so ist das leider: Wer kann, geht ins Ausland.
Eine Bevölkerung auf gepackten Koffern
In unserem Kindergartenteam klafft jetzt eine Lücke. Schlimm ist, dass das in der Republik Moldau nichts Besonderes ist – der Strom ins Ausland reißt einfach nicht ab. Diese Entwicklung macht auch vor Valerius Familie nicht halt: Valeriu hat noch acht Geschwister, von ihnen leben nur noch drei im Dorf, er uns zwei ältere Brüder. Und die haben auch schon ihre Papiere abgegeben, um in die USA auszuwandern… Valeriu ist mit viel Freude und Liebe in seiner Großfamilie aufgewachsen, aber bald ist er vielleicht der letzte der Familie, der noch im Heimatdorf lebt. Er ist der jüngste der Brüder, und er muss und will sich – so ist es Tradition – um die Eltern kümmern. Und natürlich um unseren Kindergarten. Unweigerlich denkt man: „Der Letzte macht das Licht aus…“. Aber das Licht bleibt an, trotz vieler alltäglicher Schwierigkeiten will Valeriu bleiben!
Kleine Hilfen
Überall im Land finden wir noch große Not. Wir versuchen mit unseren bescheidenen Mitteln, den Menschen nach Möglichkeit zu helfen. Dies geschieht in unserem Kindergarten in Costangalia, aber wir backen auch kleinere Brötchen:
In Valea Perjei unterstützen wir mit dem orthodoxen Priester Ivan Kovalciuk Kinder aus armen Familien. Wir finanzieren teure Schulbücher und – in besonders harten Fällen – auch das Essengeld in der Schule.
Ebenfalls in Valea Perjei besuchen wir mit Vater Ivan alte Menschen und bedürftige Familien. Dabei erzählt uns eine kinderlose Witwe, dass sie im letzten Winter ihre gesamte Rente für die Stromheizung ausgegeben hat. Sie hatte einfach keine Kraft mehr zum Holz hacken. Oder da ist die Familie, die in großer Armut mit vier Kindern in einem viel zu kleinen Lehmhäuschen wohnt. Alle schlafen in einem winzigen Raum. Die älteren drei Kinder gehen schon in die Schule. Als die Mutter ein viertes Mal schwanger wurde, haben ihr Viele zu einer Abtreibung geraten, aber sie wollte das Kind unbedingt behalten.
Alte Frau in Valea Perjei
Vater Ivan mit einer armen Familie
Wir spüren, dass es für Vater Ivan eine Herzensangelegenheit ist, diesen Menschen zu helfen. Aus unserer Sicht sind die Tüten mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln, die wir überreichen, leicht zu finanzierende Tropfen auf den heißen Stein. Für die Empfänger scheinen sie aber eine große Bedeutung zu haben, die Freude ist groß – über die Spenden, aber auch über den Besuch an sich.
Ein Bremer Ehepaar hat ein Stipendium für Eugenia, eine junge Frau aus Costangalia, übernommen. Nach dem Tod des Vaters schien ihr Wunsch, in der Kreisstadt Cahul Pädagogik zu studieren, in weite Ferne gerückt. Immerhin summieren sich Studiengebühr und Wohngeld auf ca. 280 Euro pro Jahr. Mit dem Stipendium kann sie sich jetzt ihren Traum erfüllen und ist sehr dankbar dafür, denn ihr ist bewusst, welch großes Glück sie hat.
Eugenia (Mitte) mit Schwester, Akkordeon und Mutter
In Chioselia finanzieren wir Material für eine Trinkwasserleitung. Wasser ist ein Gut, über das wir in Deutschland nicht lange nachdenken. Es ist eben da. In Moldova gibt es aber viele Dörfer mit maroden Leitungen. Die schlechte Versorgung wird gerade in Trockenzeiten deutlich, wenn die wenigen Brunnen nicht mehr ausreichen. In Chioselia wird jetzt eine neue Leitung von der auf einem Hügel gelegenen Quelle gelegt, an die auch erstmals die Schule angeschlossen wird. Das Material bezahlen wir, die Arbeitsleistung übernimmt das Rathaus.
Unverändert beeindruckt sind wir von unseren beiden Krankenschwestern Angela in Rumänien und Tamara in der Republik Moldau. Es gibt so viele Kranke, die ohne finanzielle Hilfe deutlich schlechtere Genesungschancen hätten. Natürlich ist das ein Fass ohne Boden, wenn man die ganze Gesellschaft vor Augen hat. Aber auch hier gilt: Im Einzelfall kann solche Hilfe einen unbezahlbaren Wert haben.
Alte Menschen, neue Ideen
Junge Menschen wandern aus, alte bleiben zurück. Ein neues Problem entsteht: Wer soll sich um all die Alten kümmern, deren Kinder und Enkel weit weg sind und sich oft gar nicht mehr melden? Von Jahr zu Jahr gibt es mehr alte Menschen, die außer ihrer almosenartigen Rente nichts und niemanden haben. Ich finde es immer sehr bedrückend, wenn solche Menschen, die oft ein ganzes Leben hart gearbeitet haben, ihre Lebenssituation vor mir ausbreiten.
Der Bürgermeister von Costangalia während unserer Beratungen
Als wir in Costangalia den Kindergarten gebaut haben, habe ich oft gehört: „Wir unterstützen Euch, Kinder sind ja die Zukunft.“ Das stimmt natürlich. Aber die Alten sind eben nicht Vergangenheit. Natürlich können wir jetzt nicht einfach neben den Kindergarten ein Altenheim bauen. Aber ein Gedanke, der schon öfter an uns herangetragen wurde – zuletzt vom neuen, im Mai frisch gewählten Bürgermeister von Costangalia –, ist der: Wir haben im Kindergarten eine Küche. Wäre es nicht möglich, dort auch für verarmte, alte Menschen zu kochen? Denen, die nicht mehr weit laufen können, kann man das Essen auch nach Hause bringen.
Neue Ideen, alte Probleme
Es gibt so viele Möglichkeiten, mit ein wenig mehr Geld in Moldova noch mehr zu erreichen… Aber wir wollen nicht vermessen sein. Natürlich bekommen wir jetzt schon viele Spenden und sind dafür sehr, sehr dankbar. Wir versuchen, das Geld sinnvoll einzusetzen, und ich denke, dass uns das bisher auch recht gut gelungen ist. Dass es Menschen gibt, die mit monatlichen Beiträgen den Kindergarten in Costangalia tragen, hätten wir uns so nie träumen lassen. Aber wie Menschen eben so sind: Manchmal träumen wir einfach weiter und wünschen uns eine noch praller gefüllte Spendenkasse!
All denen, die schon jetzt unsere Kassen füllen oder die Menschen in Rumänien und Moldawien in ihre Gebete einschließen, möchte ich noch einmal herzlich danken!