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Wiedersehen nach zwei Jahren

By Oktober 3, 2021Fahrtberichte
Andreas und Christian auf dem Weg in die Moldau

Neustart

Mit Bangen verfolgten wir die Inzidenzen und die sich wechselnden Verordnungen über Ein- und Ausreisen der Republik Moldau und der Bundesrepublik, aber letztlich gelang es ohne Probleme: vom 28. September bis zum 2. Oktober reisten Andreas Bodemann – das ist der, „mit dem alles anfing“: https://moldovahilfe.de/about/ ganz unten auf der Seite – und Christian Naundorf auf dem Luftweg nach Chishinau und mit dem Mietwagen zu unseren Projektpartnern im Rayon Cantemir, namentlich in die Dörfer Chioselia und Costangalia. Logisch, dass zwei Jahre nach der letzten persönlichen Begegnung wenig Neues angefangen, eher die Fäden wieder aufgenommen wurden, wo sie zuletzt lagen. Obwohl – wenig Neues? Wir treffen immerhin fünf der sechs neuen Stipendiaten persönlich – das Programm ist nicht neu, die jungen Menschen sind es schon, die da Koch/Konditor, Erzieherin, Automechaniker, Webseiten-Programmierer, Verfahrenstechniker werden wollen. Zwei bewährte Kräfte verlassen das Sozialzentrum, aber nicht ohne dass die eine davon eine Bekannte angefragt hat, ob sie übernehmen will, und eine andere Frau, die wir schon von Kindesbeinen an kennen und für die Kraft und Zielstrebigkeit bewundern, mit der sie den Widrigkeiten des Lebens getrotzt und sich eine bescheidene, aber selbstständige wirtschaftliche Existenz aufgebaut hat, ebenfalls ihre Mitarbeit anbietet. Am zentralen Dorfplatz, einer öden breiten Piste aus verdichteter Erde, ist tatsächlich ein Fußballplatz mit Kunstrasen und Ballfangzaun entstanden und Groß und Klein bolzen, juchzen und feuern an, dass es eine Freude ist. In den oberen Klassen der ein-zügigen Dorfschulen sieht es mau aus, aber die kleinen Klassen sind voll – so geht es also weiter: „wie gehabt aber neu“.

Wie schon berichtet haben sich unsere Partner Dinge einfallen lassen, wie sie auch im zeitweisen Lockdown der Dorfgemeinschaft dienliche Aufgaben wahrnehmen konnten, und auch der Bürgermeister bleibt einfallsreich. Interessiert verfolgt unser Team die von Andreas gehaltene interne Fortbildung über frühkindliche Entwicklung und Weltaneignung, verschränkt mit dem Thema Medienerziehung – tatsächlich kam das gesponserte Medienkabinett im Sozialzentrum genau richtig, weil es Schulkindern ohne Endgeräte oder Internetanschluss zu Hause „Lernen auch im Lockdown“ an sechs Einzel-Arbeitsplätzen ermöglicht hat.

Das Team berichtet von seiner Arbeit.

Unsere Medikamenten-/Operations-Fonds-Verwalterin, die Krankenschwester Tamara, ist guten Mutes: Kinder, Schwiegerkinder, Enkel sind zu Besuch, ihre eigene Knie-Operation hat gut gewirkt; sie ist alt, kann sich aber ohne Schmerzen bewegen; ein Neffe von Valer heiratet (irgendwo auf freiem Feld zwischen den Örtern); die Bienen gedeihen und sammeln den Honig; unser Übersetzer, ein junger, athletischer Mann, im Hauptberuf Programmierer in Chishinau, denkt überhaupt nicht an Auswandern, ist mit Leben und Beruf zufrieden und fachsimpelt derart los mit dem Stipendiaten, der Programmierer/Informatiker zum Berufsziel hat, dass ich ihm bedeute, er soll das Übersetzen nur sein lassen und einfach heiter weiter mit dem Jungen reden. Also – die werden ihren Weg machen … so wie Alina, aber dazu unten extra.

Maia Sandu, Präsidentin seit 2020, ist populär, hören wir, und tatsächlich ist bei der Parlamentswahl im Juli ihrer Partei die Mehrheit zuteil geworden: nach zahllosen Wechseln zwischen gespaltener Ausrichtung von Präsidentenamt und Parlament nach Ost oder nach West, Rußland oder EU und daher einem ständigen Schlinger-Kurs ein erster sachter Stabilitätsanker.

Nun, es war Spätsommer, es war gutes Wetter, sicher prägt das auch das Bild und die Wahrnehmung, aber ich will doch meinen, dass wir viele kleine Aufbrüche und ein gutes Miteinander erleben durften.

… und Kontinuität

Es ist tatsächlich schon über 10 Jahre her – 2009 begannen wir unser kleines „Stipendiaten-Programm“ mit der Idee, jungen Menschen eine selbstgewählte Ausbildung zu ermöglichen, die sonst ihr Leben aller Voraussicht nach mit reiner Familien- oder mit Gelegenheitsarbeit verbringen würden. Bescheiden waren die Ziele: mit einem Maschinenführer (Baggerfahrer), einem Fliesenleger, einer Typographin, aber auch einer Designerin, einem Computer-Operator, einer Musiklehrerin fing es an. Eine der längsten Ausbildungszeiten aber durchlief Alina Toderas (sprich: Toderasch, mit langem ‚a‘ und auf der letzten Silbe betont), die ich im März 2015 kennenlernen durfte – ich weiß nicht, liebe Leserin, lieber Leser, ob Sie unsere Briefe archivieren; vermutlich nicht; falls doch: S. 4 des Gelb-Papier-Briefs vom 9. Juni 2015 schrieb ich, wie beeindruckt ich von der Treffsicherheit der Sozialassistentin – Valentina Axenti; kürzlich brachten wir ein „Interview“ mit ihr – und der Lehrerin der 9. Klasse war, die uns dieses Mädchen aus unfaßbar ärmlichen Verhältnissen vorstellten – wir waren auf dem schwer erreichbaren „Gehöft“, wir trafen und erlebten die Eltern und Geschwister … -, das mit hellwachem Verstand und klarem Ausdruck nicht nur den Wunschtraum hatte, Medizin zu studieren, sondern – was wir fast nie erleben – sogar einen „Plan B“ hatte für den Fall, dass das – im ersten Schritt: Oberschule und Krankenschwesternausbildung von immerhin fünf Jahren Gesamtdauer – nicht klappen sollte.

Nun – bisher hat es geklappt. Wir erfahren, dass sie die Ausbildung in der Kreisstadt 2020 erfolgreich abgeschlossen hatte, und sogleich im dortigen Krankenhaus die Arbeit als Krankenschwester aufgenommen hatte, und so verabreden wir uns für den frühen Abend „am zentralen Blumenbeet“ besagter Kreisstadt (Cahul). Es erscheint: eine freundlich-ernsthafte 20jährige mit adretter, doch unauffälliger Kleidung und Handtäschchen – ja, sie hat die Prüfungen gut bestanden; ja, sie wurde sofort übernommen und wird, wie sie findet, auch angemessen bezahlt; ja, sie hat ihre eigene Wohnung; aber da sie „nicht sehr gesellig“ sei (sie meint wohl: nicht auf Feten oder Parties geht), macht sie auch zusätzliche Nacht- und Sonderschichten; das mache ihr nichts aus, aber sie wolle doch noch etwas ansparen, bevor sie in Chisinau Medizin studiert (und dann auch dort eine Wohnung hält oder kauft), und deswegen arbeite sie jetzt lieber etwas mehr. Ja, ich dürfe über sie berichten, auch unter Nennung ihres Namens, das sei völlig in Ordnung, aber Bilder bitte keine – freundlich-bestimmt, mit einem klaren, angenehmen Selbstbewusstsein gibt sie den Rahmen vor, bedankt sich noch einmal herzlich für die Unterstützung und geht ihrer Wege in den Abend – was für ein Talent. Die selbe wie mit 14 und doch auf einem ganz anderen Weg, als es ohne die Stipendien-Geberin je denkbar gewesen wäre …

Über 100 junge Menschen stehen nun schon auf unserer Liste; von vielen haben wir nicht verfolgen können, was aus ihnen wurde – und natürlich wollen wir ihnen auch nicht das Gefühl geben, dass wir sie verfolgen, es soll ja gerade die Ermöglichung einer freien Entfaltung sein; aber es ist doch schön zu sehen, dass die Saat angeht und aufgeht; wir hatten einige Fälle von vorzeitigen Abbrüchen wegen Schwangerschaft und/oder Hochzeit aber auf diese enorme Zahl scheinen mir diese wenigen, wenngleich bedauerlichen Ausreißer kaum der Rede wert. Einmal mehr möchte ich meinen, dass unsere kleinteilige, aber eben fokussierte und beharrliche Arbeit auf die lange Strecke viel eher und mehr Früchte trägt als große Programme mit großen Zahlen und Plänen, die dann aber doch nach kurzer Zeit wieder in sich zusammenfallen.

Ich bin frohgemut, dass 80 bis 90 von denen [Stipendiat*innen] ihr Land auf ihre je eigene Weise voranbringen werden; und mehr kann man ja kaum wollen.

Dr. Christian Naundorf, nach der Begegnung mit Sripendiat*innen im August 2021

Nach nunmehr ganzen zwei Jahren, die wir nicht in die Republik Moldau reisen konnten, war es ein herrliches Wiedersehen!
Es grüßt Sie herzlich,
Ihr Dr. Christian Naundorf

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