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Fahrtbericht April 2012

By April 14, 2013Oktober 3rd, 2020Fahrtberichte

Liebe Freunde der Moldovahilfe,

Herbert Grönemeyer hat mal gesungen: „Bleibt alles anders“. Und irgendwie trifft das auch auf die Republik Moldau zu, ein Land voller Anachronismen und Paradoxien. Für wenige Menschen ist vieles anders, aber für die meisten hat sich gar nichts geändert.

Das Land hat eine neue, proeuropäische Regierung, die die Republik Moldau in die EU bringen will. Das ist aber noch genauso unwahrscheinlich, wie es schon unter den Kommunisten war. Es gibt zahlreiche Straßenbauprojekte und seit langem schon eine stabile Stromversorgung, aber die verbesserte Infrastruktur führt in unserem Haupteinsatzgebiet nicht ansatzweise zu neuen Arbeitsplätzen. Es gibt eine Krankenversicherung, die die allermeisten Kosten aber nicht trägt.

In einem Monat in Berlin Mitte sieht man nicht so viele Luxuswagen wie in Chisinau an einem Tag. Auf dem Dorf dagegen sind Pferdewagen mit ausgemergelten Kleppern noch immer ein Standardtransportmittel. Viele alte Leute leben noch immer mit völlig unzureichenden Renten in ihren alten Lehmhäusern. Aber die ausgewanderten Kinder haben ihnen Laptops geschenkt, und nachts sitzt so manche Dorfoma, die tagsüber noch leichte Feldarbeit verrichtet hat, vor dem Computer mit Internetkamera und spricht mit ihren Enkeln in Amerika, die sie vielleicht noch nie leibhaftig gesehen hat. Virtuelle Familienrealitäten.

 

Sozialzentren – auch bei uns?

Sehen wir uns mal die Dörfer im Süden des Landes, in denen wir tätig sind, etwas genauer an. Was hat sich hier in den letzten Jahren getan?

Neue Firmen oder Werkstätten, die Arbeitsplätze anbieten könnten, sind nicht entstanden, auch keine neuen Läden: absoluter Stillstand auf niedrigstem Niveau. Es gibt keinen noch so kleinen wirtschaftlichen Aufbruch, den wir unterstützen könnten. Die Auswanderungsquote ist noch immer hoch. Trotzdem hat inzwischen fast jeder ein Mobiltelefon, viele auch Internet.

Erstaunlich ist, dass die wesentlichsten Änderungen den sozialen Bereich betreffen. Jedes Dorf hat inzwischen eine Armenküche, vor allem für die steigende Zahl von Alten, die alleine sind. Auch wurden für alle Dörfer Sozialarbeiterinnen und Sozialassistentinnen eingestellt. Für notleidende Menschen ist das eine Entwicklung, die eine gewisse Hilfe bedeutet.

Allerdings ist in den letzten Jahren die Geburtenrate gesunken. Einige Kindergärten und Schulen, deren Einrichtung im Übrigen meist noch immer schlecht ist, sind schon von Schließung bedroht; in dem kleinen Dorf Leca wurde die Schule schon 2011 geschlossen.

Diese Änderungen sind auch für uns sehr wichtig. Seit über zehn Jahren betreiben wir sehr erfolgreich den Kindergarten in Costangalia. Doch was tun, wenn die Altersarmut zunimmt, aber weniger Kinder geboren werden?

In den letzten Jahren sind in der Republik Moldau viele Sozialzentren entstanden, fast immer mit ausländischer Hilfe. Die Konzepte sind ähnlich: Schulkinder können nachmittags spielen, basteln oder Sport treiben, aber auch betreut Hausaufgaben erledigen, wovon besonders sozial schwache Kinder profitieren. Für Arme gibt es Sozialküchen, manche haben auch einen Duschraum oder Waschmaschinen – eine große Hilfe für Alte, die alleine sind. Spannend ist es, wenn die Arbeit mit Kindern und die Arbeit mit Alten verbunden werden.

Wie gesagt, inzwischen gibt es viele Sozialzentren – allerdings nicht im abgelegenen Süden des Landes. In „unserem“ Bezirk Cantemir haben wir bisher nur ein kleines Zentrum ausfindig machen können. Bei unserer letzten Fahrt haben wir es besucht und waren von der Arbeit beeindruckt.

In Leca will die Bürgermeisterin Maria auch ein Sozialzentrum aufbauen. Schon vor einigen Jahren hat sie mit einigen Mitstreiterinnen ein kleines Kinderzentrum eröffnet, das wir mit kleinen Beträgen für Bastelmaterial, Musikinstrumente usw. unterstützt haben. Ebenfalls mit unserer Hilfe wurde Anfang dieses Jahres in dem ehemaligen Schulgebäude eine Armenküche eingerichtet. Maria möchte in einem weiteren ehemaligen Klassenraum eine Art Begegnungszentrum für Alte und Arme einrichten. Wir wollen sie dabei weiter begleiten und nach Möglichkeit unterstützen.

Derzeit überlegen wir zusammen mit unserem Hauptpartner Valeriu und dem Bürgermeister von Costangalia, ob und ggf. wie wir auch unseren Kindergarten in diese Richtung weiterentwickeln können. Valeriu würde sich gerne verstärkt um Schulkinder und Alte kümmern. Die Not ist in der Tat groß, vieles wäre zu tun, alles können wir jedoch nicht leisten. Ziel ist es, mit unseren Spendengeldern so effizient wie irgend möglich den größtmöglichen Nutzen für bedürftige Menschen zu erzielen. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie uns in diesem Sinne auch weiterhin unterstützen!

Sascha Goretzko

 

Stipendien

Es nicht immer ganz einfach, aus der Ferne den engen Kontakt zu unseren Stipendiaten zu halten. Daher sind bei unseren Reisen die Treffen und Gespräche mit ihnen immer wichtig, so auch bei unserer Fahrt im März.

Im Moment erhalten 14 junge Menschen aus den Dörfern Costangalia, Chioselia und Baimaclia Stipendien von Unterstützern aus Deutschland. Die Spanne der Ausbildungen reicht dabei von der Frisörin bis zum Elektroingenieur und zur Grundschullehrerin. Fast alle von ihnen haben wir im März getroffen und uns über ihre Ausbildung auf den neusten Stand bringen lassen. Die meisten fühlen sich mit ihren Ausbildungen sehr wohl und haben dabei viel Spaß. Leider haben zwei Jugendliche ihre Ausbildungen abbrechen müssen – es war zu schwer für sie. Wir finden das sehr schade, doch leider ist davor niemand gefeit, und gerade bei Jugendlichen aus sozial schwachen Familien kann dies immer mal wieder vorkommen.

Auch für den Ausbildungsbeginn im September 2012 haben wir im März zahlreiche Gespräche mit Klassenlehrern, Schuldirektoren, Sozialassistentinnen und natürlich den Schülern geführt. Neben den drei Dörfern Costangalia, Chioselia und Baimaclia haben wir nun auch Kontakte nach Tarancuta geknüpft. Insgesamt haben wir 13 Schüler in ihren Familien besucht, die uns von den Sozialassistentinnen und den Lehrern vorgeschlagen wurden.

Die Ausbildungswünsche reichen von Bauarbeiter, Journalistin und Musiklehrer bis zu Informatiker und Sozialarbeiterin. Allerdings müssen wir uns in diesem Jahr mit der Vergabe der Stipendien noch bis Ende Juni gedulden. Ab diesem Jahr finden die Abschlussprüfungen zentral in der Kreisstadt statt. In der Vergangenheit wurden die Schüler in ihrer jeweiligen Schule geprüft. Da der Abschluss der 9. Klasse das absolute Minimum für weiterführende Bildungseinrichtungen ist, haben die Lehrer bei einzelnen Schülern auch mal wohlwollend bei der Benotung ein Auge zugedrückt. Das ist nun nicht mehr möglich. Schüler, die durch diese Prüfung fallen, können die Prüfung zwar wiederholen – aber erst ein Jahr später. In der Zwischenzeit haben sie jedoch kein Recht, die 9. Klasse noch einmal zu besuchen, um sich besser auf die zweite Chance vorzubereiten.

Schon im letzten Jahr haben wir zahlreiche Anfragen von neuen und „alten“ Stipendiengebern erhalten. Über dieses Interesse freuen wir uns sehr. Mit dem neuen Vorgehen in Moldova bleibt für uns nun erst einmal abzuwarten, wie die Prüfungsergebnisse der potentiellen Stipendiaten ausfallen. Erst dann können wir interessierte Stipendiengeber ansprechen. Wir wünschen unseren Jugendlichen viel Erfolg und freuen uns auf einen neuen, interessierten und motivierten Ausbildungsjahrgang.

Felix Weickmann

 

Musikschule Baimaclia

Auf unserer letzten Fahrt haben wir in Baimaclia das Kulturhaus besucht. Hier finden nachmittags zahlreiche unterschiedliche Kurse für Kinder und Jugendliche statt. Bei unserem Besuch konnten wir einen kurzen Blick in die Tanz- und Musikkurse sowie in den Zeichenkurs werfen.

Die Musiklehrerin, die uns spontan durch das Gebäude geführt hat, berichtete, dass sie eigentlich personell gut ausgestattet sind. Leider fehlt es immer wieder an finanziellen Mitteln für Materialien. So konnte der Tanzkurs beispielsweise einer Einladung nach Cahul nicht folgen, da sie das Geld für die notwendigen Kostüme nicht auftreiben konnten.

Damit dies in absehbarer Zeit nicht wieder passiert, haben wir dem Zentrum einen Geldbetrag zur Verfügung gestellt, der solche Ausgaben abdecken soll.

Felix Weickmann

 

Valea Perjei: Neue Sanitärräume im Kindergarten

Erfreuliche Nachrichten gibt es aus Valea Perjei zu vermelden: Es hat tatsächlich geklappt, die Kanalisation und die vier Sanitärräume komplett zu sanieren!

Lange Zeit war nicht klar, ob die von uns vorgesehenen Spendengelder – immerhin die stolze Summe von 4.500 Euro – dafür reicht, im gesamten Kindergarten neue Abwasserrohre zu verlegen, das System an die ebenfalls neue Fäkaliengrube anzuschließen und schließlich überhaupt Waschbecken und Toiletten einzubauen. Doch dank der tatkräftigen Hilfe vieler Eltern und der Koordination des Priesters Ivan Kovalciuk konnte das gesamte Projekt realisiert werden.

Vor der Sanierung war der Kindergarten in einem erbärmlichen Zustand: Toiletten gab es innen gar nicht, und die Waschbecken waren regelrecht verrottet. Die Kinder – egal welchen Alters – mussten selbst im Winter entweder raus zum „Plumpsklo“ gehen oder ihr „Geschäft“ in Töpfchen verrichten. Unter den kaputten Waschbecken stand ein Eimer, um das Wasser aufzufangen.

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vorher: kaputte Waschbecken
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nachher: Vater Ivan zeigt uns die sanierten Räume

Saubere, funktionierende Sanitärräume sind nicht nur für die Hygiene unerlässlich, sondern haben auch etwas mit Menschenwürde zu tun. So hat die Kindergartenleiterin sogar darauf geachtet, dass zwischen den Toiletten eine kleine Trennwand angebracht ist, damit die Kinder bei der Benutzung nicht auf dem Präsentierteller sitzen.

Sascha Goretzko

 

Catalin und Vadim aus Leca

Im letzten Fahrtbericht habe ich von den Geschwistern Vadim und Catalin berichtet. Beide Jungen sind im Laufe ihrer Kindheit unabhängig voneinander schwere Pflegefälle geworden.

Wir sammeln ja selten Geld direkt für eine Familie, und wenn, dann eigentlich auch nicht für Verbrauchsmaterial. Aber in diesem Fall konnten wir einfach nicht anders.

Und unser Spendenaufruf hat Früchte getragen. Ich bin sehr froh, dass wir dank der Hilfe von drei Spendern für mindestens 1 ½ Jahre Windeln für die beiden bezahlen können. Bevor ich das aber dem Familienvater mitgeteilt habe, habe ich mich nochmals erkundigt, was denn am dringendsten gebraucht werde. Er meinte nur: „Windeln, Windeln, Windeln, das ist unser allergrößtes Problem!“

Als ich ihm dann von den Spenden erzählte, ist er ganz still geworden, und es hat ihm Freudentränen in die Augen getrieben. Für die Familie muss das wahrhaftig eine enorme Hilfe sein. Vielen, vielen Dank den Spendern!

Sascha Goretzko

 

Sibiu: Bericht aus der Werkstatt für Menschen mit Behinderung

Die Werkstatt für Menschen mit Behinderung in Sibiu/Hermannstadt (Rumänien) besteht seit 2007 unter der Trägerschaft des österreichischen Diakoniewerks International. Geleitet wird sie von Ana Palcu, die sich auch seit vielen Jahren für die Evangelische Moldovahilfe Berlin engagiert. Von ihrer Arbeit berichtet sie:

„In den ersten Monaten hatten wir ca. 8-10 Menschen mit Behinderung beschäftig, doch die restlichen freien Plätze bis ca. 15 wurden sehr schnell besetzt. Die Anfrage ist weiterhin sehr groß, wobei wir immer wieder neue betreute Personen aufgenommen haben.

Die Werkstatt wird finanziert durch öffentliche Gelder des Landkreises Sibiu, so dass vier Mitarbeiter direkt beim Sozialamt angestellt sind und als staatliche Beschäftigte gelten.

Seit Juli 2010 hat der rumänische Staat wegen der globalen Wirtschaftskrise die Neu- und Wiederbesetzung aller staatlichen Stellen blockiert. Diese Tatsache hatte für uns sehr negative Auswirkungen, wir konnten keine neuen Personen mehr betreuen, obwohl die Nachfrage unverändert groß ist.

Nur dank der Unterstützung der Moldovahilfe konnten wir für das Kalenderjahr 2012 eine halbe Stelle mit der Behindertenpädagogin Dana Lupu neu besetzen und dadurch weitere fünf betreute Personen aufnehmen. Wir sind für diese Zwischenfinanzierung sehr dankbar und hoffen, dass sich die Wirtschaft des rumänischen Staats stabilisiert und wir Frau Lupu dann dauerhaft beschäftigen können.“

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Angestellte und Betreute der Behindertenwerkstatt

 

Bericht der Behindertenpädagogin Dana Lupu

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Wer bin ich?

Mein Name ist Daniela Lupu, ich bin 43 Jahre alt und Mutter eines besonderen Kindes (mit Behinderung). Diese Tatsache, ist auch meine Motivation warum ich den Abschluss an der Fachschule „Friedrich Müller“ mit der Ausbildung als Behindertenpädagogen gemacht habe.

Mein erster Kontakt mit der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen war im ersten Jahr meiner Ausbildung, als wir die Einrichtung besucht haben. Im zweiten Jahr habe ich mich dann entschlossen, mein Berufspraktikum in der Werkstatt zu leisten. Die Schule ist sehr auf eine praktische Seite ausgerichtet, die Hälfte der Ausbildung bestand aus Praktika in Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Dieser Schwerpunkt war auch der Grund für meine Wahl der Ausbildung (die Universität ist in unserem Land nicht sehr gut organisiert), und diese Art der Ausbildung ist nach einem Model aus dem Ausland, organisiert durch die Bavaria Stiftung.

Im Jahr 2008 begann ich also das Praktikum in der Werkstatt, und hier bin ich geblieben. Nach dem Abschluss der Ausbildung im Jahr 2009 half ich weiterhin täglich als Ehrenamtliche mit und nahm an den meisten Aktivitäten teil wie z.B. Camps, Ausflüge und verschiedene Märkte.

Was arbeite ich?

Seit Januar 2012 bin ich dank Ihrer Unterstützung mit einer 25 Stunden-Stelle angestellt worden, somit Hauptverantwortliche in die tägliche Arbeit für eine Gruppe von fünf Personen. Wir stellen verschiedene Produkte her – einige Beispiele: Ketten aus Perlen, Origami-Figuren, Körbe, Blumenampeln mit Knüpftechnik, Dekorationsprodukte für verschiedene Anlässe.

Zwei Tage in der Woche arbeite ich für je zwei Stunden in Einzelbetreuung mit einer jungen Frau (21 Jahre) mit autistischen Zügen. Das Hauptziel ist die Sozialisation, Eingliederung und Anschluss an die Gruppe, da sie nie eingeschult wurde oder irgendwelche Erfahrungen mit anderen Personen außerhalb ihrer Familie gemacht hat. Der Prozess wird langwierig sein, aber der erste Schritt ist bereits getan, da sie einen Kollegen an ihrem Schreibtisch angenommen hat und Interesse an dessen Arbeit zeigt.

Warum habe ich diese Ausbildung und diese Art von Arbeit gewählt?

Wie gesagt, zuerst war es für mein Kind, dann lag es nahe auch anderen junge Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu helfen. Und die angeeigneten Kenntnisse nur auf persönlicher Ebene zu verwenden fand ich etwas unfair, wenn ich eh eine abgeschlossene Fachausbildung habe. Deshalb auch meine Bereitschaft, mich für die Arbeit mit Menschen mit Behinderungen fortlaufend auszubilden, um neue Erfahrungen und Kenntnisse zu sammeln und meine Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Praxis umsetzen.

Ich liebe sehr, was ich tue, ich gebe viel von mir ab und empfange zur gleichen Zeit sehr viel.

Diese Menschen mit besonderen Bedürfnissen verändern die Werteskala von jedem, der mit ihnen in Kontakt kommt, bieten eine neue Sicht des Lebens, stellen eine andere Welt mit anderen Regeln dar, zusammengefasst: bieten eine magische Welt dar.