Liebe Freundinnen und Freunde der Moldovahilfe,
im winterlichen Dezember waren wir wieder für eine Woche vor Ort in Moldova, diesmal in kleiner Delegation mit Felix Wolf und mir, Hanna Steinmüller. Für mich war es trotz vieler vorheriger Aufenthalte in Zentral- und Osteuropa eine Premiere, der hoffentlich viele weitere Reisen folgen werden. Besonders eindrücklich war für mich die Situation von Frauen, sodass sie den Schwerpunkt dieses Berichtes bilden, ehe noch Neuigkeiten aus dem Sozialzentrum folgen.
Die Situation auf den Dörfern
Ein Blick in die Statistik zeigt: Die offizielle Arbeitslosigkeit in der Republik Moldau betrug im Schnitt in den ersten drei Quartalen 2017 4,4 Prozent. Dabei ist aber zu beachten, dass die Unterstützung für arbeitslose Menschen so gering ausfällt, dass viele auf eine Registrierung beim Arbeitsamt verzichten. Das staatliche Statistikamt ermöglicht aber noch weitere Differenzierungen, so ist die Arbeitslosigkeit auf dem Land niedriger als in den Städten und bei Männern ausgeprägter als bei Frauen. Der Durchschnitt 2017 für Frauen auf dem Land betrug nur 3,2 Prozent, was erstmal sehr erfreulich wirkt. Immerhin ist die offizielle Arbeitslosigkeit niedriger als in Deutschland.
Doch was steckt hinter diesen Zahlen, wie habe ich die Situation in Costangalia und der Nachbarschaft wahrgenommen? Deutlich wird der Mangel an Arbeitgebern und Beschäftigungsmöglichkeiten: In Costangalia sind das eigentlich nur die Schule und der Kindergarten, das Postamt, der kleine Tante-Emma-Laden – und „unser“ Sozialzentrum. Zur Erntesaison arbeiten viele Menschen als Tagelöhner auf den Feldern oder im Weinbau. Die Straßen sind schotterig, nur die wenigsten Familien besitzen ein Auto und der Bus verkehrt selten: da kommt eine Arbeitsstelle in einem anderen Dorf oft nicht in Betracht. Viele gehen ins Ausland, einige dauerhaft, andere nur temporär für einige Monate, um das Einkommen aufzubessern. Dazu kommt die Landwirtschaft: Fast alle Familien haben etwas Land und bauen mindestens für den Eigenbedarf an. Vermutlich fallen deswegen viele aus der Arbeitslosenstatistik raus.
Blick vom Sozialzentrum in die winterliche Landschaft
Nicht nur die Arbeitslosenversicherung, auch andere staatliche Sozialleistungen sind so niedrig, dass sie kaum das Überleben sichern. Stattdessen bieten in der Regel die Familien die sozialen Netzwerke, die bei Notfällen einspringen. Viele Frauen, die ich in dieser Woche kennengelernt habe, haben mit ungefähr 20 geheiratet und im Anschluss mehrere Kinder bekommen. Da in der Regel Frauen für die Erziehung und den Haushalt zuständig sind, sind sie nochmal stärker an das Dorf gebunden und unflexibler als Männer bei der Arbeitsplatzsuche. Aufgrund dieser örtlichen Limitierungen ist das Spektrum der Arbeitsplätze sehr eingeschränkt, selbst wenn die Frauen spannende Studienabschlüsse haben oder Berufserfahrung vor der Heirat gesammelt haben.
An dieser Stelle ist es mir wichtig zu betonen, dass es diese Unterschiede zwischen Stadt und Land auch in Deutschland gibt und manche deutsche Dörfer „abgehängt“ wirken. Dennoch glaube ich, dass durch Kinderbetreuungsmöglichkeiten und staatliche Unterstützungen Frauen in Deutschland heute eine größere Unabhängigkeit möglich ist.
Die Arbeit der Moldovahilfe für Frauen
Hier bietet die Moldovahilfe Unterstützung: Die Nachmittagsbetreuung im Sozialzentrum ermöglicht Eltern eine größere Flexibilität und den Kindern eine abwechslungsreiche Freizeitgestaltung. In unserem Hort werden Hausaufgaben unter Begleitung erledigt, es kann gespielt werden, Nähkenntnisse oder Holzfertigkeiten erworben werden. Damit sind wir in der Region einzigartig. Unser Sozialzentrum möchte Menschen verschiedenen Alters zusammenbringen und ein Ort der Begegnung sein, das haben wir schon in vielen Fahrberichten beschrieben. Der positive Nebeneffekt für die berufstätigen Eltern darf aber auch mal Platz finden.
Kinder und Eltern basteln für den Weihnachtsbasar
Mit unserem Sozialzentrum sind wir Arbeitgeber und ermöglichen zehn Angestellten ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Daneben bieten wir jungen Erwachsenen mit unserem Stipendiaten-Programm die Möglichkeit einen Beruf zu erlernen um später mehr Chancen zu haben, einen existenzsichernden Arbeitsplatz zu finden. In einem Land mit einem Durchschnittseinkommen von 225 Euro im Monat, auf dem Land oft deutlich weniger, macht das einen gewaltigen Unterschied.
Frauen in Verantwortung
In der Woche haben wir versucht, mehr über die Gehaltsstruktur im sozialen Bereich zu lernen. Dafür haben wir viele Gespräche mit Schulleiterinnen, Kindergartenleiterinnen oder der Leiterin des Sozialdienstes in der Region geführt. Im sozialen Bereich arbeiten fast ausschließlich Frauen und erfreulicherweise spiegelt sich das auch im Führungspersonal wider. Dabei haben wir sehr, sehr beeindruckende Frauen kennengelernt, die mit hohem persönlichem Einsatz für bessere Infrastruktur für ihre Schülerinnen und Schüler oder andere Gruppen kämpfen.
Mit ihnen arbeiten wir teilweise schon sehr lange zusammen, dieses Mal haben wir zum Beispiel Geräte für ein Zentrum für Schüler mit Behinderung in der Schule in Costangalia beschafft. In Chioselia wollen wir den Boden des Gymnastikraums erneuern. Die Schulleiterinnen haben uns sehr anschaulich beschrieben, an wie vielen Stellen Mangel herrscht und wie sie nur unzureichend vom Staat unterstützt werden. Ihr Durchhaltevermögen und ihre Überzeugung trotz widriger Bedingungen verdienen großen Respekt!
Viorica, Leiterin des Sozialamtes der Region Cantemir, lässt auf ihrem Chefinnen-Sessel probesitzen
Veränderungen im Sozialzentrum
Im Sozialzentrum steppt der Bär, und das ist gut so! Fast 40 Kinder und 20 ältere Menschen nehmen regelmäßig unsere Angebote wahr und füllen das Zentrum mit Leben. Bei dieser Projektreise haben wir viele Mitarbeitergespräche geführt und Stellen neu besetzt, die aufgrund von Pensionierungen oder Schwangerschaften vakant wurden. Wir freuen uns mit neuen und alten Gesichtern weiterzuarbeiten.
Dabei stehen auch einige Veränderungen an, z.B. muss das Sozialzentrum von staatlicher Seite akkreditiert werden – dadurch erhalten wir eine Art Betriebserlaubnis. Für diese Akkreditierung müssen wir z.B. die Aus- und Fortbildung unserer Mitarbeitenden nachweisen oder Konzepte unserer inhaltlichen Arbeit vorlegen. Auf der einen Seite hilft uns das, gemeinsam mit unseren Partnern die Qualität des Zentrums zu überprüfen und notfalls zu verbessern – auf der anderen Seite ist das leider auch mit viel bürokratischem Aufwand verbunden. Vieles ist aber auch schon geschafft.
Wir hoffen mit diesem Fahrtbericht etwas Einblick in unsere Reise, aber auch das Leben vor Ort geben zu können und danken herzlich für ihre Unterstützung. Ihre Spenden verbessern das Leben von vielen Menschen, besonders Frauen.
Es grüßen ganz herzlichen
Felix Wolf und Hanna Steinmüller
für die gesamte Evangelische Moldovahilfe Berlin e.V.